Vorspiel - Nachspiel

Timm Ulrichs

12.03.2021 - 16.05.2021

Timm Ulrichs ist Autodidakt, Sprachfetischist, Leser und humorvoller Provokateur. In seinen gattungsübergreifenden Konzeptrealisierungen stellt er sich und seine menschliche Konstitution immer wieder als Material zur Verfügung und postuliert die Vereinbarkeit von Kunst und Leben. Sprache ist dabei häufig sein grundlegendes gestalterisches Mittel; seine Werke spielen mit verbalen Konzepten, Tautologien, Paradoxien und vielfältigen Bedeutungen. 

 

Wie kaum ein anderer Künstler kanalisiert Timm Ulrichs existenzielle Gefühle und thematisiert den dem Leben innewohnenden Verfall sowie die Inszenierungsformen des Gedenkens und des Sich-Produzierens. Aus der Logik des Lebens heraus denkt er seinen eigenen Tod als gestalterischen Pol mit. Das ist nicht narzisstisch, sondern ungemein konsequent; geht es dabei auch darum, die Regie über sein eigenes Leben zu führen. Legendär ist eine, Ende der 1970er-Jahre erdachte und am 16.5.1981 ausgeführte, Aktion, in der er auf sein rechtes Augenlid die Worte „THE END“ tätowieren ließ.

 

Ich-Sein ist die Prämisse jeder Betrachtung, und natürlich greift die Frage was post-priori geschieht, auch in die Gegenwartsbetrachtung und - gestaltung ein. Unter diesem Parameter untersucht Timm Ulrichs wiederkehrend die Welt durch die Anwesenheit und Abwesenheit seines Lebens. Die 100-teilige Serie Versteinerte Texte und Bilder, die seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr öffentlich ausgestellt wurde, zeigt Grabsteine in Form eines Buches, aufgenommen auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise. Darunter auch ein von Ulrichs selbst gestalteter Stein mit der Inschrift: „Denken Sie immer daran, mich zu vergessen. Timm Ulrichs!“

 

Ein Leben für die Kunst: das kann dann nur bedeuten ein Leben, um sich auf den Tod vorzubereiten, ihn zu gestalten, zu inszenieren, als Höhe- und Kulminationspunkt […]"

(Timm Ulrichs)

 

Die Gestaltung von Erinnerungsobjekten und die Organisation des Gedenkens, die Timm Ulrichs immer auch an sein persönliches Ableben knüpft, bilden wiederkehrende Motive in seinem Oeuvre. Anwesend abwesend das Leben nach dem Tode im Leben vor dem Tode (1971) verbindet eine Totenmaske, geformt nach dem Antlitz Ulrichs, mit einem Buchtresor. In Meta-Atem verschwindet Ulrichs Gesicht hinter einer Glasscheibe, die durch die Exspiration seines Atems beschlägt und die Durchsicht verhindert – er verschwindet durch seine Lebendigkeit. Bereits 1992 installiert Ulrichs in der Nekropole Kassel sein Grabmal mit dem Titel Timm Ulrichs: auf der Unterseite der Erdoberfläche (Kopfstehendes Hohlkörper-Denkmal  II) (1972/80/90). Es ist ein kopfüber in den Boden versenkter und ausgehöhlter Körperabguss Ulrichs, der seine Asche aufnehmen soll. Sichtbar vom anderen Ende, oberhalb der Erdoberfläche, sind lediglich seine Fußabdrücke.

 

Ausgangspunkt der in der Sammlung Philara präsentierten Werke ist das Spiel mit der Präsenz und dem Prozess des Verschwindens, den Ulrichs auch unter ökonomischen Faktoren betrachtet. In Werken wie Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1967) und Geld/Wechsel/Geld: Ein Umlauf durch zwanzig Währungen (oder: Das aktualisierte Märchen von Hans im Glück) (1968/78) fragt er nach den Mechanismen der Werterzeugung und Wertminderung durch den Vorgang der Auflösung und richtet den Fokus auf Bedingungen des Materialismus. In der hundertfachen Kopie der Kopie verfällt nicht nur visuell die von Benjamin formulierte „Aura“ durch die Reproduktion des Ausgangsbildes, viel mehr demonstriert Ulrichs den Qualitätsverlust durch den technischen Vorgang des Kopierens.