Noumenon

Alicja Kwade & Kris Martin

06.09.2014 - 19.10.2014

Alicja Kwade und Kris Martin operieren an der Membran des Wahrnehmbaren. Bildhauerisch untersuchen beide Künstler ontologische Maxime und hinterfragen die Ordnung der Dinge und ihre Auswirkungen auf unser Erkenntnisgerüst.

Etymologisch stammt das Wort noumenon vom griechischen nous, Geist. Erstmals in Platons Politeia verwendet, bezeichnet es das mit dem Geiste zu Erkennende in Abgrenzung zum sichtbar Wahrnehmbaren, dem Phänomen. Populär wird noumenon in der Philosophie Immanuel Kants. Dieser verwendet noumena als das Gedachte, nicht Wahrnehmbare, welches dem Phänomen voraus geht und somit die Grenze unserer Wahrnehmung markiert. 

Kris Martin verwendet die industrielle „Idee“ der menschlichen Figur und seriellen Produktion und fügt dieser  Charakteristika individueller und historischer Bedeutung zu. Ausgehend von billigen Styroporköpfen werden die Häupter  von ihm in Bronze gegossen und als Büsten präsentiert. Durch Deformation und Destruktion werden die normierten Gesichter verändert und personalisiert. Stellenweise wirken sie als hätte sich die Zeit hineingefressen. Mit Titeln wie „Beredsamkeitssperre“ und „Erinnerungsvakuum“ bekommen sie eine pathetische, sehnsuchtsvolle, romantisierende Überhöhung. Dabei nehmen die Titel Bezug zu dem nicht mehr Wahrnehmbaren, den ausgelöschten Partituren des Gesichts. 

Materialität, Masse und Zeitlichkeit sind auch primäre Aspekte der Arbeiten von Alicja Kwade. Gleichwohl assoziiert sie Massenware, wie eine Kaiser-Idell-Lampe, mit subjektiven Gefühlszuständen wie Angst und verleiht den Objekten individuelle Gesten dieses Ausdruckes. Durch Umformungen von materiellen Erscheinungszuständen reflektiert sie auf das phänomenale Wesen der Dinge und deren Essenz des Nicht-Sichtbaren. Besonders deutlich wird dies in der Arbeit „Kaminuhr“. Kwade zerlegt und kategorisiert alle integralen Bestandteile einer Kaminuhr nach ihrer Materialzugehörigkeit und lässt diese im gleichen Prozess zermahlen. Die Reste werden in Einmachgläsern konserviert und präsentiert. In einer weiteren Arbeit verändert ein Spiegel, kunsthistorisches Symbol der Selbsterkenntnis und Vergänglichkeit, seinen Aggregatzustand und rinnt gen Boden. 

Alicja Kwades und Kris Martins Arbeiten sind ein Hinüberdenken zum non-Phänomenalen. In den Arbeiten beider wird Dauer artifiziell generiert und somit die Konstruktion von Zeit und ihre Messbarkeit offen gelegt. Das Metaphorische wird hierbei zum metamedialen Modus – pendelnd zwischen Substanz und Essenz.