Case History

Boris Mikhailov

05.09.2015 - 11.10.2015

Anlässlich der Verleihung des Goslarer Kaiserrings 2015 an Boris Mikhailov zeigt die Sammlung Philara ausgewählte Arbeiten aus der von 1997-1998 entstandenen Serie Case History. Diese insgesamt 413-teilige Serie umfasst intime Porträts aus dem Milieu ukrainischer Obdachloser. Etymologisch verweist der Titel auf den medizinischen Verlauf einer Krankheit. Gleichwohl schwingt aber auch das Wort case study (Fallstudie) mit; eine Untersuchung von einzelnen Phänomenen, um daraus generelle Prinzipien abzuleiten. Nachdem Boris Mikhailov von einem DAAD-Stipendium aus Berlin zurückkehrte, entstand Case History in Charkow (Ukraine), der Heimatsort des Künstlers. Die Konsequenzen des Zusammenbruchs der UdSSR 1991 und die damit einhergehende neue Gesellschaftsordnung sowie der Verlust sozialer Strukturen spiegeln sich u.a. in der Obdachlosigkeit. Mikhailov porträtiert so genannte "BOMJI" in der Peripherie ihrer Existenz, in verwohnten Räumen, an Straßenrändern und in verschneiten Feldern. Konträr zum Titel folgt Mikhailov aber keiner wissenschaftlichen Chronologie des Elends, sondern greift vereinzelt bewusst in die Inszenierung ein. So entstehen Porträts, die zwischen Dokument und Pose korrelieren. Einige Haltungen sind Zitate aus der Kunstgeschichte, während andere Wiederholungen natürlicher Gesten oder Momentaufnahmen sind.

Durch diese Verschleppung werden sie zu Metaphern des Lebendigen, die zwischen eklatanter Hilflosigkeit und bizarrer Fröhlichkeit divergieren. Im Fokus steht dabei häufig die Entblößung. Ferner sieht Mikhailov darin eine Ablehnung der Bildtradition sozialistisch geschönter Propagandastrategien, in der Nacktheit verboten war.

Boris Mikhailov zeichnet in Case History Symptome einer historisch bedingten Krankheit. Diese individuellen Antlitze sind Konstitutionen sozialer Veränderungen, die die Fäulnis einer Utopie zu Tage treten lassen.