... vom zwanghaften Drang nach Vollständigkeit deiner Aussagen.

Jorge Castillo & Thomas Musehold

10.11.2017 - 14.01.2018

Mit der Ausstellung ... vom zwanghaften Drang nach Vollständigkeit deiner Aussagen. greifen erstmalig die zwei Sammlungsgenerationen der Familie Bronner ineinander. Dan Georg Bronner sammelt seit Anfang der 60er Jahre. Künstler wie Pablo Picasso, George Grosz, Konrad Klapheck und Jorge Castillo sind Bestandteil seiner jahrzehntelangen Bemühungen. Sein Sohn, Gil Bronner, widmet sich seit den 90er Jahren der Sammlung von Gegenwartskunst und öffnete seine Sammlung 2008 für die Öffentlichkeit. In der ab dem 10.11.2017 gezeigten Ausstellung in der Sammlung Philara treffen mit Jorge Castillo und Thomas Musehold zwei Repräsentanten der jeweiligen Sammlungen aufeinander.

Ausgangspunkt der Ausstellung bilden Grafiken und Aquarelle aus den vornehmlich 70er Jahren des spanischen Künstlers Jorge Castillo, der 1933 in Galizien geboren wurde und in Buenos Aires aufgewachsen ist. Sein Werkensemble besticht durch wiederkehrende Bildformeln, die sich mit den Darstellungen von Porträts, der Comedia dell’ arte, szenischer Bildräume sowie Bäumen, Blumen und Blüten in verschiedenen Verwesungsstadien befassen. Wesentlich folgt er dabei einer Logik gegen ein rationales Raumsystem. Seine Köpfe schweben in diesen umgekippten Dimensionen oder Körper und Gegenstände werden multiperspektivisch aufgetürmt und überlagert. Die starren Antlitze werden durch die Raumverschiebungen isoliert und auf sich selbst zurückgeworfen. Die menschliche Gestalt wird zum Arrangement, auf einer Bühne drapiert und erhält parallel zu den dargestellten Gegenständen „eine requisitenhafte Qualität“1. Es ist die Verkehrung des Natürlichen, des organisch Prozessualen, in eine starre Verfestigung der Vergänglichkeit im unbestimmten Raum.

Thomas Museholds Skulpturen sind transformierte Fundstücke unseres kulturellen Gedächtnisses. Er unterzieht diesen Objekten eine essentielle Metamorphose. Dabei verändert er Form und Oberfläche und kreiert mysteriöse Organisationen. Diese stellt er häufig in den Kontext wissenschaftlicher Systeme und Ausstellungsdisplays und untersucht anhand dieser fiktiven Fragmente Potenziale kultureller Relevanz. Für diese Ausstellung begegnet Thomas Musehold den Arbeiten Jorge Castillos mit einer Anlehnung an den Gödelschen Unvollständigkeitssatz: ... vom zwanghaften Drang nach Vollständigkeit deiner Aussagen. Aus dem Kontext gerissen, wird dieser Satz zu einem “poetischen Sample“, welcher freie Assoziationen schaffen soll und sowohl Antipoden wie Synergien beider Werke, welche durch das von Musehold konstruierte Display initiiert werden soll, herausarbeitet.

Nach dem Unvollständikeitssatz des Mathematikers Kurt Gödel, muss es in „hinreichend starken Systemen Aussagen geben, welche weder formal bewiesen noch widerlegt werden können“2. Der Versuch, die allgemeingültige Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit aller Aussagen zu vereinen ist a priori zum Scheitern verurteilt. Dem Versuch nach Passgenauigkeit kann nicht Folge geleistet werden. Das Scheitern dieser logischen Annahme ist bereits inkludiert und beschreibt primär die Annahme eines Ausdrucksfatalismus’ im Allgemeinen. In dieser durch den Titel konstruierten Dialektik begegnen sich die Werke von Jorge Castillo und Thomas Musehold zwar antithetisch, initiieren jedoch parallel dazu eine frei assoziative Fortführung.

Beiden künstlerischen Positionen ist gemein, dass sie durch Umkehrungsprozesse, Verschiebungen und Transformationen herkömmliche Strukturen und Ordnungen unterlaufen und Essenzen klarer herausarbeiten. Während Thomas Musehold Form und Oberfläche travestiert, entrückt Jorge Castillo das Individuum im Raum. Beide verändern gewohnte Kontexte durch Inszenierung und Verfremdung von Gegenständen und formulieren introspektive Ansichten anhand organischer Entwicklungsstadien.

1 Ratcliff, Carter: Jorge Castillo. Zeichnungen. Gemälde. Skulpturen. München 1987, S. 43.

2 Hoffmann, Dirk W.: Die Gödel’schen Unvollständigkeitssätze. Eine geführte Reise durch Kurt Gödels historischen Beweis, Berlin 2017, S.39.